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Scheunendrescher Nr.12

Wovon Chefredakteure träumen und andere Pressegeheimnisse

Beim 13. Scheunendrescher erzählten Journalistenkollegen über das Zeitung- und Radiomachen sowie auf sehr persönliche Weise über sich selbst
Stralendorf
– Am Ende der gut zwei Stunden unterhaltsam-informativen Talkshow „Hat Zeitung Zukunft? Ein (kollegiales) Gespräch über alte und neue Medien“ am 29. Mai in der Stralendorfer Amtsscheune schlug Gastgeber Jürgen Seidel den Bogen zum Anfang. Nachdem er sich zu Beginn des Abend nach den ganz persönlichen Wegen der Talk-Gäste in den Journalismus erkundigt hatte, wollte er jetzt von den Träumen von Corinna Pfaff, der Geschäftsführerin des Landes-Journalistenverbandes, von Joachim Böskens, NDR-Chefredakteur, und Max-Stefan Koslik, stellvertretender Chefredakteur der SVZ, und NDR-Reporter Thomas Naedler erfahren – und zwar welchen journalistischen Traum sie denn noch hätten? Die Antworten fielen ebenso spannend wie unterschiedlich aus: So würde Thomas Naedler gern ein großes Radio-Feature oder eine Live-Sendung in der Tradition der amerikanischen Sendung „„ machen, die in einem Theater stattfindet und bei der alles live passiert, selbst die Reklame wird live eingesungen. Corinna Pfaff, die vielen auch als langjährige Gerichtsreporterin bekannt ist, würde gern mal eine richtig große Reportage schreiben. Egon Erwin Kisch, der berühmte „Rasende Reporter“ lässt grüßen. Und die beiden Chefredakteure. Wovon träumen sie? Während Koslik gern wieder einmal seine Hand am Puls des Weltgeschehens habe würde, ist Böskens dagegen nach eigener Aussage gewissermaßen wunschlos glücklich. Als NDR-Chefredakteur habe er bereits den tollsten Job der Welt „for ever“.
Ebenso unterschiedlich waren auch die Zugänge zum Journalismus, manches eher Zufall, manches von Anfang an geplant. So wurden Böskens und Naedler von anderen ins Radiogeschäft eingeladen. Max-Stefan Koslik dagegen wollte ursprünglich Fotograf werden, hatte sich dafür sogar an der renommierten Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ausbilden lassen, wurde aber von der Volkszeitung zunächst als Landwirtschaftsredakteur eingesetzt und berichtete unter anderem über „Ernteschlachten“: „Fotograf werden Sie hier nicht.“ Corinna Pfaff wusste nach dem Ansehen des wunderbaren Politthrillers „Under Fire“ von Roger Spottiswoode aus dem Jahr 1983 mit Nick Nolte in der Hauptrolle des amerikanischen Fotoreporters Russell Price, dass es für sie nur einen einzigen Berufswunsch geben könne – Journalistin zu werden und auf diese Weise die Welt zu retten.

Vierhändig auf dem Kunze-Klavier, sponsored by Agrarhof Stralendorf

Zwischen den Auskünften zu ihren journalistischen Anfängen und ihren Wunsch-Vorhaben äußerten sich die vier Kollegen zu vielfältigen Themen – über die wichtige Rolle der Medien in und für die Demokratie über die Themenauswahl und bis zu den Rechten und Pflichten von Journalisten. Natürlich war in diesem Zusammenhang auch noch einmal Klartext in Bezug auf das kürzliche „Rabauken-Jäger“-Urteil des Amtsgerichtes Pasewalk gegen einen Redakteur des Neubrandenburger „Nordkurier“ zu hören. Dieser war wegen angeblicher Beleidigung zu einer Geldstraße von 1.000 Euro verurteilt worden. Dieses Urteil werde keinen Bestand haben, war sich Böskens sicher. Und auf der offiziellen Homepage des Landes-Journalistenverbandes stellt der DJV mit Blick auf den Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Pressefreiheit regelt, eine klare Forderung: „Wir erwarten, dass die Richter der Berufungsinstanz das Recht der Pressefreiheit achten und das Urteil aufheben“.

Aber das war noch nicht alles. Gehört die musikalische Begleitung durch unsere beiden „Musiküsse“ Dirk Hammerich (Klavier) und Ingolf Drabon (Saxofon) ohnehin zu jedem „Scheunendrescher“ wie das Amen in der Kirche oder wie das Schack-Mausoleum zu Stralendorf, so wurde der musikalische Part der Talkshow diesmal nach freundlich-nachdrücklicher Aufforderung von Gastgeber Jürgen Seidel durch zwei Beiträge der Podiumsteilnehmer verstärkt. Thomas Naedler, der seine künstlerische Karriere einst als Liedermacher begonnen hatte, begeisterte an der Gitarre mit einem originellen und wortwitzigen Angler-Hasser-Lied. Ebenfalls nicht lange bitten ließ sich Jazz-Sendungs-Moderator Joachim Böskens und spielte ebenfalls zum großen Vergnügen des Publikums in der Amtsscheune gemeinsam mit Hammerich vierhändig den berühmten Jazz-Standard „Blue Bossa“ – und diesmal stimmt übrigens die Bezeichnung Klavier hundertprozentig: Denn wenn Hammerich und Drabon sonst mit Saxophon und E-Piano anreisen, so stand diesmal ein richtiges 116er Klavier der berühmten Leipziger Klavierbauerfirma Rönisch aus dem Piano Hause Kunze in der Musiker-Ecke und den Veranstaltern zur Verfügung. Möglich geworden war das durch ein spontanes Sponsoring des Agrarhofes Stralendorf e.G und seinen „Scheunendrescher“-freundlichen Vorstandsvorsitzenden Uwe Krause. Herzlichen Dank dafür!
Insgesamt erwies sich also auch der nunmehr bereits 13. „Stralendorfer Scheunendrescher“ wieder als ein abwechslungsreicher, unterhaltsamer und informativer Abend, der dem Publikum auch die Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach der Zukunft der Zeitung nicht schuldig blieb. Allerdings gab es nicht nur eine einzige Antwort, sondern mehrere. Während der Rundfunk-Mann meinte, dass es spätestens in 30 Jahren keine gedruckte Zeitung mehr geben würde, wollten andere Podiumsgäste diese recht radikale Auffassung nicht so ganz teilen. Zwar werde sich die Zeitung wandeln, aber so ähnlich wie beispielsweise das Buch, dem ebenfalls schon oft der Tod vorausgesagt worden war, werde sie keinesfalls völlig verschwinden, erklärte beispielsweise Corinna Pfaff. Und auf jeden Fall bleiben würden die menschliche Neugier und Menschen, die sich dieser Neugier annähmen und selber neugierig genug seien – die Journalisten.

Kommen wir zum Schluss noch einmal auf die Musik zurück. Denn der letzte Titel des Abends war als Hinweis auf die Ausgabe Nr. 14 der ländlichen Talkshow zu verstehen, wenn es im Herbst heißt „Scheunendrescher goes Konzert“. Am 25. September 2015 geht es in Stralendorf um das Thema „Jugendliebe“ – natürlich mit Ute Freudenberg, der Sängerin des wohl erfolgreichen Osthits aller Zeiten. Übrigens trägt auch ihre 2012 veröffentlichte Biographie genau diesen Titel. Aber mehr dazu Ende September 2015 …

Bleiben Sie bis dahin entspannt, gesund und vor allem – schön neugierig. Es lebe die Zeitung und ihre Zukunft

Jürgen Seidel